Montag, 3. Oktober 2011

Wer will wie wohnen?

Was ist normal?

Kürzlich wurde ich wieder einmal mit der bei mir des öfteren auftauchenden Frage nach Normalität konfrontiert, die an dieser Stelle mit einer ersten Kurzbetrachtung im Bezug auf Wohnen und Leben von Familien beantwortet werden soll: Was ist eigentlich normal, wie sieht normales Wohnen und normales Leben aus; sind wir noch normal?

Die Statistik

Ein Blick auf die Statistik offenbart, dass unsere Familie erschreckend normal zu sein scheint. Wie bei 52% aller Kinder unter 18 Jahren gehen auch bei uns beide Elternteile arbeiten, meine Frau gehört damit zu den 72% arbeitender Frauen mit Kindern unter 25 Jahren. Wie bei 73% aller Paare bin ich etwas älter als meine Frau (auch wenn der Abstand etwas zu klein ist für den Durchschnitt); mit 47% aller Kinder gehören unsere auch zur größten Gruppe mit einem Geschwisterkind. Und spätestens bei der Betrachtung von nicht-ehelich und ehelich geborenen Kindern sind wir vollständig auf der „sicheren Seite“, haben wir doch von jedem eines und können somit für unsere beiden Kinder gemeinsam 100% abbilden (wenngleich wir natürlich eigentlich je einmal ca. 30 und 70% haben). Und selbst wenn der Durchschnitt der „Feind jeder Erkenntnis“ ist, wie ein ehemaliger Professor von mir zu sagen pflegte, wird auch in vielen anderen Bereichen des Alltags wird immer wieder deutlich, dass ein Ehepaar mit zwei Kindern als Normalität betrachtet wird; Familienkarten gelten meist für zwei Erwachsene mit zwei Kindern, in die meisten Autos passen problemlos zwei Kindersitze hinein und erst ab dem dritten Kind gibt es mehr Kindergeld.

Wandel im Wohnen

Und auch beim Wohnen drängt sich als normale Wohnform die vermeintlich vorherrschende Wohnform des Lebens in einer Kleinfamilie als verbreitet auf. Die meisten Menschen scheinen davon zu träumen in einem kleinen Einfamilienhaus zu wohnen und somit das auch in Werbung und Literatur propagierte Idealbild zu verwirklichen. Doch können wir diese Form tatsächlich als Normalität bezeichnen? Ein erster Blick auf die jüngere Geschichte zeigt: Zwei Dinge scheinen auf jeden Fall dafür zu sprechen.

Zum einen ist insbesondere im sozialen Wohnungsbau in zwei DIN-Normen die Ausgestaltung von Wohnfläche festgelegt und Wohnungen sind in vielen Fällen auch tatsächlich für eine Familie mit zwei Kindern ausgelegt. Zum anderen ist nach Stand der Forschung insbesondere in den 60er Jahren die Kleinfamilie eine „kulturelle Selbstverständlichkeit“, die von der Masse der Bevölkerung als unhinterfragte Norm entweder gelebt oder angestrebt wurde (Peuckert 1999, S. 20). Doch wie so oft trügt der erste Blick. Nachdem sich die Vielfalt der Wohnformen historisch auf eine einzige „ideale“ verengt hatte, differenziert sie sich seitdem wieder aus (Häussermann und Siebel 1996, S. 317). Nicht zuletzt die 68er Bewegung hat die in den Köpfen verankerte „Normalität“ ausgehebelt und unter anderem mit den Kommunen eine Aufweichung der bis dahin noch verhandenen Vorschriften nach sich gezogen. So wurde unter anderem der Kuppelei-Paragraf verändert, der es einem Vermieter nicht risikolos erlaubte eine Wohnung an nicht-verheiratete Paare zu vermieten; WGs waren also eher eine untypische, vom Strafrecht nicht vorgesehene Wohnform, so normal sie heute auch sind. Auch die oben bereits erwähnten DIN-Normen fielen dem Fall des Idealtypus zum Opfer; DIN 18011 wurde in 1991, DIN 18022 in 2007 ersatzlos gestrichen. Heute ergibt sich mit WGs, Kleinfamilien in Land und Stadt, generationenübergreifendem Wohnen, ökologischen Dörfern und vielem mehr eine sehr diversifizierte Wohnlandschaft. Die Normalität als Durchschnitt auf der einen und als Idealbild auf der anderen Seite verliert demnach an Kontur.

Und nun?

So scheint unsere Familie also auf den ersten Blick tatsächlich so etwas wie die Normalität abzubilden, zumindest die Statistik und auch das vorherrschende Ideal des Wohnens legt dies nahe. Die Veränderung der Gesellschaftsstrukturen hin zu einer in den verschiedensten Lebensentwürfen und Wohnformen verwirklichten Diversität spricht jedoch gegen diese vereinfachte Betrachtung. Eine Entwicklung die ich durchaus begrüße, bietet sie jedem einzelnen doch die Möglichkeit aus vielen unterschiedlichen Lebensentwürfen zu wählen. Außerdem macht sie das Leben vielfältiger und interessanter, denn „die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Blumen auf ihr“; und wenn Vincent van Gogh recht mit dieser Aussage hatte, dann halte ich es mit einem kleinen schwedischen Möbelhaus und entdecke die Möglichkeiten die am Wegesrand stehen.



Quellen:

Häußermann, H. und Siebel, W.: Soziologie des Wohnens: eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. Weinheim und München: Juventa-Verlag, 1996.

Peuckert, R.: Familienformen im sozialen Wandel. Opladen, 1999.

Statistisches Bundesamt Deutschland (www.destatis.de)

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