Dienstag, 25. Oktober 2011

Wer will wie wohnen? - Ein Nachtrag

Doch nicht so normal?!

Seit der Konfrontation mit der Frage nach Normalität ist einige Zeit vergangen, und offensichtlich werden wir von anderen als nicht so normal wahrgenommen wie Dirks Eintrag vermuten lässt. Wie kann das sein? Ein erneuter Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bringt Licht ins Dunkel:

Die Statistik

Die Darstellung der Zahlen von Dirk ist zwar korrekt: Wir gehören ab Dezember zu den 52% Paaren mit Kindern unter 18 Jahren, bei denen beide Elternteile arbeiten. Berücksichtigen wir hier jedoch den Umstand, dass unsere Jüngste noch keine drei Jahre alt ist und betrachten die Zahlen zur Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern dieses Alters stehen wir in Westdeutschland vor folgender Tatsache: nur 28,7% aller Mütter sind hier erwerbstätig, davon 75,6% in Teilzeit. Das heisst, dass noch nicht einmal jede vierte Mutter von diesen nicht mal 30% aller Mütter mit Kindern unter drei Jahren vollzeiterwerbstätig ist. Oder andersherum: Nur 7% der Mütter mit Nachwuchs im Alter von bis zu drei Jahren arbeiten in Vollzeit. Es ist also ganz augenscheinlich „unnormal“ als Frau in dieser Situation eine Vollzeitstelle zu besetzen.

Weiterhin sind zwar bei 52% der Paare beide Elternteile erwerbstätig, jedoch nur bei 22% beide in Vollzeit.

Dirk ist in seinem Text nicht auf unseren Bildungsstand eingegangen. Wir haben beide Abitur und gehören somit im Bezug auf die schulische Ausbildung mit 25,8% zur zweitgrößten Gruppe im Jahr 2010, hinter 37% mit Volks-/Hauptschulabschluss und vor 21,7% mit Realschul- oder gleichwertigem Abschluss.

Im Bezug auf den beruflichen Bildungsabschluss gehören wir mit 7,5% bzw. 5,0% jedoch zur Minderheit der Bevölkerung. Auch hier könnte man zu dem Schluss kommen, wir seien nicht „normal“.

Das Durchschittsalter von Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes beträgt 28,9 Jahre- ich war bei der Geburt meines ersten Kindes 24, beim zweiten 27 Jahre alt und somit zu jung um der Norm Genüge zu tun.

Die „normale“ Wohnform

Wenn wir die beiden „Normalo-Alternativen“ kleines Einfamilienhaus vs. Wohnung nach Standard des sozialen Wohnungsbaus betrachten, bleibt festzuhalten, dass wir momentan letztere für uns gewählt haben. Warum wohnt eine offensichtlich nicht ganz normale Familie in einer Wohnung für ganz normale Familien? Ist es unser Traum so zu wohnen? Anscheinend nicht, denn sonst würde ich mir die Frage „Wie wollen wir wohnen?“ auf diese Art und Weise gar nicht stellen.

Käme die sprichwörtliche „Gute Fee“ vorbeigeflattert um mir meinen Wohnwunsch zu erfüllen, dann würde ich meine Worte jedenfalls sehr sorgfältig wählen. Denn wie in Urlaubskatalogen die Beschreibung „gute Verkehrsanbindung“ durchaus nicht selten mit „direkt in der Einflugschneise des Flughafens“ übersetzt werden kann, muss man auch beim Wünschen eine gewisse Vorsicht walten lassen. Ich spreche da aus Erfahrung. Was würde ich der Guten Fee also sagen?

Dass ich gern mindestens vierzig Quadratmeter mehr hätte, die jedoch gut und sinnvoll verteilt sein sollten. Die Bäder sollen bitte jeweils mit einem Fenster ausgestattet sein, so wie selbstverständlich alle anderen Räume der Wohnung auch. Der Balkon bitte doppelt so groß oder gleich im Erdgeschoss/Hochpaterre mit kleinem Garten oder Zugang zu einem von vielen netten Menschen genutzten „Innenhof“. Küche und Schlafzimmer sollten bitte so angeordnet sein, dass Essensgerüche nicht die süßen Träume stören und Schlaf- und Wohnzimmer so weit auseinanderliegen, dass auch wenn im Wohnzimmer noch geklönt wird, selbst leichte Schläfer schlafen können. Ein Zimmer mehr wäre auch wünschenswert, ebenso ein gutes Raumklima, schimmelfreie Räume und ordentlich isolierte Wände. Die Wohnung sollte gut an das Netz des ÖPNV angeschlossen und auch mit dem Auto gut erreichbar sein und gleichzeitig nicht an einer Hauptverkehrsstraße liegen. Einkäufe sollten bitte zu Fuß erledigt werden können, ebenso soll der Weg zwischen Wohnung und (ansprechender!) Gastronomie auch mit dem einen oder anderen Gläschen hinter der Binde auf zwei Beinen zurückgelegt werden können. Ach ja: in Hamburg liegen und bezahlbar sein soll das Ganze selbstverständlich auch. Und mit „in Hamburg“ meine ich hier im Übrigen nicht den Großraum Hamburg, sondern den Raum östlich der A7, (deutlich) westlich der A1, südlich des Flughafens und nördlich der Elbe.

Ich hoffe, meine Gute Fee muss jetzt nicht zum Treffen der Anonymen Guten Feen mit unerfüllbarem Wohnungswunsch gehen, aber eine Wohnung in der Art wäre schon recht schön.

Montag, 3. Oktober 2011

Wer will wie wohnen?

Was ist normal?

Kürzlich wurde ich wieder einmal mit der bei mir des öfteren auftauchenden Frage nach Normalität konfrontiert, die an dieser Stelle mit einer ersten Kurzbetrachtung im Bezug auf Wohnen und Leben von Familien beantwortet werden soll: Was ist eigentlich normal, wie sieht normales Wohnen und normales Leben aus; sind wir noch normal?

Die Statistik

Ein Blick auf die Statistik offenbart, dass unsere Familie erschreckend normal zu sein scheint. Wie bei 52% aller Kinder unter 18 Jahren gehen auch bei uns beide Elternteile arbeiten, meine Frau gehört damit zu den 72% arbeitender Frauen mit Kindern unter 25 Jahren. Wie bei 73% aller Paare bin ich etwas älter als meine Frau (auch wenn der Abstand etwas zu klein ist für den Durchschnitt); mit 47% aller Kinder gehören unsere auch zur größten Gruppe mit einem Geschwisterkind. Und spätestens bei der Betrachtung von nicht-ehelich und ehelich geborenen Kindern sind wir vollständig auf der „sicheren Seite“, haben wir doch von jedem eines und können somit für unsere beiden Kinder gemeinsam 100% abbilden (wenngleich wir natürlich eigentlich je einmal ca. 30 und 70% haben). Und selbst wenn der Durchschnitt der „Feind jeder Erkenntnis“ ist, wie ein ehemaliger Professor von mir zu sagen pflegte, wird auch in vielen anderen Bereichen des Alltags wird immer wieder deutlich, dass ein Ehepaar mit zwei Kindern als Normalität betrachtet wird; Familienkarten gelten meist für zwei Erwachsene mit zwei Kindern, in die meisten Autos passen problemlos zwei Kindersitze hinein und erst ab dem dritten Kind gibt es mehr Kindergeld.

Wandel im Wohnen

Und auch beim Wohnen drängt sich als normale Wohnform die vermeintlich vorherrschende Wohnform des Lebens in einer Kleinfamilie als verbreitet auf. Die meisten Menschen scheinen davon zu träumen in einem kleinen Einfamilienhaus zu wohnen und somit das auch in Werbung und Literatur propagierte Idealbild zu verwirklichen. Doch können wir diese Form tatsächlich als Normalität bezeichnen? Ein erster Blick auf die jüngere Geschichte zeigt: Zwei Dinge scheinen auf jeden Fall dafür zu sprechen.

Zum einen ist insbesondere im sozialen Wohnungsbau in zwei DIN-Normen die Ausgestaltung von Wohnfläche festgelegt und Wohnungen sind in vielen Fällen auch tatsächlich für eine Familie mit zwei Kindern ausgelegt. Zum anderen ist nach Stand der Forschung insbesondere in den 60er Jahren die Kleinfamilie eine „kulturelle Selbstverständlichkeit“, die von der Masse der Bevölkerung als unhinterfragte Norm entweder gelebt oder angestrebt wurde (Peuckert 1999, S. 20). Doch wie so oft trügt der erste Blick. Nachdem sich die Vielfalt der Wohnformen historisch auf eine einzige „ideale“ verengt hatte, differenziert sie sich seitdem wieder aus (Häussermann und Siebel 1996, S. 317). Nicht zuletzt die 68er Bewegung hat die in den Köpfen verankerte „Normalität“ ausgehebelt und unter anderem mit den Kommunen eine Aufweichung der bis dahin noch verhandenen Vorschriften nach sich gezogen. So wurde unter anderem der Kuppelei-Paragraf verändert, der es einem Vermieter nicht risikolos erlaubte eine Wohnung an nicht-verheiratete Paare zu vermieten; WGs waren also eher eine untypische, vom Strafrecht nicht vorgesehene Wohnform, so normal sie heute auch sind. Auch die oben bereits erwähnten DIN-Normen fielen dem Fall des Idealtypus zum Opfer; DIN 18011 wurde in 1991, DIN 18022 in 2007 ersatzlos gestrichen. Heute ergibt sich mit WGs, Kleinfamilien in Land und Stadt, generationenübergreifendem Wohnen, ökologischen Dörfern und vielem mehr eine sehr diversifizierte Wohnlandschaft. Die Normalität als Durchschnitt auf der einen und als Idealbild auf der anderen Seite verliert demnach an Kontur.

Und nun?

So scheint unsere Familie also auf den ersten Blick tatsächlich so etwas wie die Normalität abzubilden, zumindest die Statistik und auch das vorherrschende Ideal des Wohnens legt dies nahe. Die Veränderung der Gesellschaftsstrukturen hin zu einer in den verschiedensten Lebensentwürfen und Wohnformen verwirklichten Diversität spricht jedoch gegen diese vereinfachte Betrachtung. Eine Entwicklung die ich durchaus begrüße, bietet sie jedem einzelnen doch die Möglichkeit aus vielen unterschiedlichen Lebensentwürfen zu wählen. Außerdem macht sie das Leben vielfältiger und interessanter, denn „die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Blumen auf ihr“; und wenn Vincent van Gogh recht mit dieser Aussage hatte, dann halte ich es mit einem kleinen schwedischen Möbelhaus und entdecke die Möglichkeiten die am Wegesrand stehen.



Quellen:

Häußermann, H. und Siebel, W.: Soziologie des Wohnens: eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. Weinheim und München: Juventa-Verlag, 1996.

Peuckert, R.: Familienformen im sozialen Wandel. Opladen, 1999.

Statistisches Bundesamt Deutschland (www.destatis.de)